Einleitung

Der systematische Wechsel der Lagerung des beatmeten Patienten [Bauchlage, kontinuierliche laterale Rotationstherapie (KLRT)] ist in den letzten Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher klinisch-wissenschaftlicher Studien gewesen, die teils schlüssige, teils kontroverse Ergebnisse zeigten: Während in vielen Studien eine Steigerung der Oxygenierung bei Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz („acute lung injury“, ALI) oder mit akutem Lungenversagen („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) durch solche Lagerungsmaßnahmen konstatiert wurde [3, 9, 13] (Übersicht in [11]), blieben die Auswirkungen auf andere Parameter der Intensivbehandlung (Inzidenz nosokomialer Pneumonien, Beatmungsdauer, Intensivbehandlungsdauer) unklar. Insbesondere konnte bisher nicht gezeigt werden, dass der Einsatz der Bauchlagerung – trotz eines günstigen Effektes auf den Gasaustausch – eine Reduktion der Letalität im Vergleich zur „konventionellen Lagerung“ bewirkt [7, 9, 12]. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass solche Lagerungsmaßnahmen – insbesondere bei kritisch kranken Patienten (Sepsis, Kreislaufinstabilität) – mit Komplikationen verknüpft sein können. Zusätzlich fehlen bisher klare Empfehlungen, in welchen Krankheitsstadien welches Lagerungsverfahren in welcher Form (Zeitpunkt des Beginns, Dauer, Zyklus) optimal einzusetzen ist.

Daher wurde eine deutschlandweite Befragung über den Postweg durchgeführt, um den momentanen Stand des Einsatzes von Lagerungsmaßnahmen in der Intensivmedizin zu erfahren. Hierbei interessierten besonders Indikationsstellungen, Vorzüge bestimmter Lagerungen über andere, beobachtete Komplikationen und zusätzliche Aspekte (Kosten, Einfluss auf andere intensivtherapeutische Maßnahmen etc.). Ziel war es, über aussagekräftige Daten zum Einsatz der Lagerungstherapie eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, auf deren Boden möglicherweise klarere Indikationen (und Kontraindikationen) sowie praktische Konzepte erarbeitet werden können.

Methodik

Im Frühjahr 2006 wurden 1736 Intensivstationen angeschrieben. Grundlage waren die im „Deutschen Krankenhausadressbuch“ [5] aufgeführten Intensiveinheiten. In großen Kliniken, die über mehrere strukturell und organisatorisch unabhängige Intensivstationen verfügen, wurde jede einzelne dieser Stationen angesprochen.

Der Fragebogen umfasste 12 Fragen(komplexe), die vorstrukturiert waren und daher durch Ankreuzen zutreffender Inhalte – z. T. mit Mehrfachantworten – zu beantworten waren. Offene Fragen wurden nicht gestellt. Die statistische Auswertung erfolgte anonym mithilfe eines kommerziell erhältlichen Programms (SPSS für Windows, Version 12). Die Daten wurden deskriptiv ohne Signifikanzberechnungen oder -vergleiche bearbeitet.

Ergebnisse

Es wurden 702 Fragebogen auswertbar beantwortet (40,4%). Die Größe der teilnehmenden Kliniken stellte sich folgendermaßen dar:

  • <500 Betten: 65,8%,

  • 500–1000 Betten: 24,9%,

  • >1000 Betten: 4,9%,

  • Universitätsklinik: 4,5%.

Die fachbezogene Leitungsstruktur und Größe der Intensivstationen ist in Tab. 1 dargestellt. Die weit überwiegende Zahl der teilnehmenden Intensivstationen steht unter anästhesiologischer Leitung. Über 70% der Intensivstationen weisen eine mittlere Größe (<13 Betten) auf; sehr große Intensiveinheiten sind in der deutlichen Minderzahl.

Tab. 1 Leitungsstruktur und Größe der Intensivstationen

Auf die Frage: „Gehört die halb sitzende Lagerung bei Ihnen zur Routine?“antworteten 77,9% mit „Ja“ und 21,2% mit „Nein“. In Tab. 2 finden sich Angaben zur Häufigkeit von Lagerungstechniken, die darüber hinaus angewendet werden: Neben der „konventionellen“ manuellen regelmäßigen Seitlagerung, die nahezu alle Intensivstationen zur Dekubitusprophylaxe einsetzen, wird am ehesten die 135°-Lagerung (inkomplette Bauchlagerung) favorisiert. Die 180°-Bauchlage kommt nur bei ca. 25% der Intensivstationen regelmäßig zum Einsatz. Techniken der kontinuierlichen axialen Drehung sind auf deutschen Intensivstationen wenig verbreitet: Weniger als 20% der an der Umfrage teilnehmenden Stationen setzen dieses Verfahren häufig ein.

Tab. 2 Anwendungshäufigkeit verschiedener Lagerungstechniken (Angaben in Prozent)

Die entscheidenden Parameter zum Einsatz von Lagerungsmaßnahmen sind in Tab. 3 dargestellt. Die Ergebnisse der Blutgasanalyse und die Interpretation bildgebender Befunde werden von der überwiegenden Anzahl der Studienteilnehmer als wesentlich für die Entscheidung angesehen. Dies betont den therapeutischen Charakter der Indikationsstellung. Diese Haltung, Bauchlagerung oder Rotationstherapie als therapeutische und weniger als prophylaktischeMaßnahme zu verwenden, drückt sich auch in den Antworten zur Frage aus: „Wenn Sie Lagerungstherapie einsetzen, welche klinischen Indikationen sind für Sie maßgebend?“Als wichtigste Indikationsstellungen werden die Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches (95%) und die Therapie von Atelektasen (80,7%) empfunden. Prophylaktische Aspekte (Pneumonieprophylaxe, Begrenzung des beatmungsinduzierten Lungenschadens) spielen aber auch eine – wenn auch untergeordnete – Rolle (Tab. 4).

Tab. 3 Entscheidende Eingangsparameter bei der Indikationsstellung zur Lagerungstherapie
Tab. 4 Indikationen zum Einsatz von Lagerungstherapie

Von den teilnehmenden Intensivstationen geben 38,8% der Bauchlage gegenüber der kontinuierlichen axialen Drehung den Vorzug; Letztere wird nur von ca. 15% eindeutig favorisiert (Abb. 1). Wesentliche Gründe für die Entscheidung zur Bauchlage sind der erwartete bessere Effekt auf den Gasaustausch und die geringeren Kosten. Eine geringere Komplikationsrate wird hingegen von denjenigen als Argument angegeben, die die laterale Rotationstherapie bevorzugen.

Abb. 1
figure 1

Entscheidungsgründe für die Bevorzugung einer bestimmten Lagerungstherapie

Einen wichtigen Aspekt der Befragung stellen die Angaben zu beobachteten Komplikationen dar, allerdings wurden diese nicht nach Art des Lagerungsverfahrens unterschieden. Lagerungstherapie wird insgesamt als erheblich komplikationsassoziiert empfunden (Tab. 5): Die Hälfte der Befragungsteilnehmer berichten über Tubus-/Katheterdislokationen und sogar 75% beobachten im Rahmen der Lagerung eine Beeinträchtigung der Hämodynamik. Die Diskoordination zwischen Patient und Beatmungsgerät mit konsekutiver Verschlechterung des Gasaustausches bei der Lagerungsmaßnahme wurde in 40–45% gesehen. Lagerung ohne Komplikation wird nur von 8,6% der Teilnehmer der Umfrage angegeben.

Tab. 5 Beobachtete Komplikationen während Lagerungstherapie

Des Weiteren wurde erfragt, ob und in welcher Form eine Modifikation der Intensivtherapie im Zusammenhang mit Lagerungstherapie notwendig wurde (Abb. 2). Als wesentlich wird die Notwendigkeit der Vertiefung der Analgosedierung bei Bauchlagerung oder kontinuierlicher axialer Drehung empfunden. Auch die Änderung des enteralen Ernährungsregimes (Stopp: 15,5%, Reduktion: 32,6%) wird von vielen Ärzten und Pflegekräften als erforderlich angesehen. Nur 14,4% der Umfrageteilnehmer halten eine Änderung der Intensivtherapie nicht für erforderlich.

Abb. 2
figure 2

Angaben über die Veränderung der übrigen Intensivtherapie im Rahmen von Lagerungsmaßnahmen (Angaben in Prozent)

Abschließend wurde erfragt, welche Bettensysteme zur Lagerungstherapie eingesetzt werden. Auch in den hier vorgenommenen Angaben zeigt sich, dass der Kostenaspekt bei der Lagerungstherapie eine Rolle spielt: Von den Befragten geben 75,4% an, die (Bauch-)Lagerung in einem normalen Krankenhausbett durchzuführen, allerdings wird in einem ähnlich hohen Anteil (78,9%) auch ein Antidekubitussystem eingesetzt. Bei diesen Antworten bleibt allerdings unklar, mit welcher Häufigkeit auf das (Kosten verursachende) Matratzensystem mit Wechseldruckanwendung zurückgegriffen wird.

Diskussion

„Prone positioning – do not turn it off“ ist der Titel eines Editorials in Intensive Care Medicine [10] als Reaktion auf die Ergebnisse von drei multizentrischen prospektiv randomisierten Studien [7, 9, 12], die keinen Überlebensvorteil durch die systematische Anwendung der Bauchlage bei Patienten mit akutem Lungenversagen aufzeigen konnten. Die Aufmunterung, sich durch die ernüchternden Daten dieser Studien nicht von der Bauchlagerung abzukehren, bezieht sich auf verschiedene Aspekte, die in wissenschaftlichen Untersuchungen und in der klinischen Anwendung der Bauchlagerung offen bleiben: Alle drei multizentrischen Studien weisen nicht nur methodische Probleme, sondern auch unterschiedliche therapeutische Ansätze (Aufnahmekriterien, Zeitpunkt und Dauer der Lagerung) auf.

Unbestritten ist hingegen, dass die Bauchlagerung beim akuten Lungenversagen eine akute Verbesserung der Oxygenierung [3, 13, 15] und/oder der CO2-Elimination [8] bewirkt. Vorteilhaft sind eine Dauer von mindestens 12 h und die wiederholte Anwendung im Intervall [6]. Bei frühzeitiger Anwendung ist eine Reduktion der Inzidenz beatmungsassoziierter Pneumonien zu erwarten [9]. Die physiologischen Effekte der Bauchlagerung sind mittlerweile gut untersucht [14]: Bauchlagerung bewirkt eine Reduktion des Pleuradruckgradienten, eine Verbesserung der respiratorischen Mechanik und der Atemgasverteilung sowie eine Homogenisierung der pulmonalen Perfusion und damit eine Homogenisierung des bestehenden Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses.

Trotz all dieser beschriebenen Effekte besteht – den Ergebnissen der hier berichteten Umfrage zufolge – im klinischen Alltag Skepsis gegenüber der Bauchlagerung: Nur 25% der Umfrageteilnehmer wenden die Bauchlage „häufig“ an. Die bevorzugte Lagerungsform scheint die 135°-Lagerung zu sein, als deren Vorteile wohl der größere Komfort und die erleichterte Pflege (Lagerung des Kopfes, Ausleitung von Drainagen und regelmäßige Pupillenkontrolle) angesehen werden. In einer prospektiven Studie wurde aber gezeigt, dass die 135°-Lagerung im Vergleich zur Bauchlagerung bei Patienten mit ARDS einen schwächeren Effekt auf die Steigerung der Oxygenierung [2] ausübt und auch bei dieser Lagerungsmethode eine „Non-responder-Rate“ einzukalkulieren ist.

Methodenkritisch muss allerdings für die dargestellten Umfrageergebnisse darauf hingewiesen werden, dass in der Beantwortung von Fragebogen nicht notwendigerweise die klinische Realität abgebildet wird. Durch die Vorauswahl von teilnehmenden Kliniken und den (in Umfragen oft größeren) „schweigenden“ Anteil der nichtantwortenden intensivmedizinisch tätigen Ärzte sind „Verzerrungen“ solcher Daten im Vergleich zur Realität anzunehmen.

Die überraschend hohe Quote an beobachteten Komplikationen, die durchaus als bedrohlich angesehen werden können (Tubus-/Katheterdislokation, hämodynamische Instabilität) dürfte einer der Hauptgründe für den geringen regelmäßigen Einsatz der Bauchlagerung sein. Eine spezifische Analyse dieser Komplikationsquote in Abhängigkeit von der Art und Größe der Intensivstationen ist nicht erfolgt. Es ist zu vermuten, dass das Auftreten von Komplikationen von der Vorbereitung und vom „professionellen“ Management der Lagerung abhängig ist. In diesem Sinne schließen die Autoren aus den Ergebnissen der Umfrage, dass eine praxisorientierte Leitlinie zum Lagerungsmanagement dringend erforderlich ist, um das Vorgehen zu vereinheitlichen und auf eine routinierte Basis zu stellen. Darüber hinaus sollte ein „optimales Timing“, z. B. während des Schichtwechsels angestrebt werden. Es bleibt zukünftigen Studien vorbehalten, die Reduktion von Komplikationen durch die strikte Anwendung von Algorithmen und Durchführungsempfehlungen (Sicherung von Tubus und Kathetern, Verlängerung von Infusionsleitungen etc.) zu evaluieren.

In diesem Zusammenhang bedarf besonderer Erwähnung, dass in unserer Umfrage nur 14% der teilnehmenden Intensivstationen im Rahmen von Lagerungsmaßnahmen keine Änderung der übrigen Therapie für erforderlich halten. Der überwiegende Anteil sieht eine Vertiefung der Analgosedierung für notwendig an, um die Toleranz des Patienten für diese Maßnahme zu steigern und Störungen der Interaktion zwischen Patient und Beatmungsgerät zu vermeiden. Ob die beschriebene hämodynamische Instabilität durch die Maßnahme einer vertieften Analgosedierung begünstigt wird, bleibt offen. Auch für die Koordination der übrigen Intensivtherapie mit den Lagerungsmaßnahmen gilt, dass klinisch-wissenschaftliche Daten, die sich mit spezifischen Aspekten (Ernährung, Analgosedierung, Spontanatmung während Lagerungswechsel) beschäftigen, noch in erheblichem Ausmaß fehlen. Darüber hinaus ist auch hier zu fordern, dass auf dem Boden zukünftiger Studien klare Empfehlungen für den Umgang mit solchen therapeutischen Entscheidungen zu formulieren sind.

Die Effekte der KLRT auf den Gasaustausch sind zumeist geringer ausgeprägt und im Vergleich zur Bauchlagerung zeitlich mehr verzögert [1, 16]. Diese wissenschaftliche Einschätzung wird auch im klinischen Alltag wahrgenommen. Hingegen wurde in mehreren prospektiv-randomisierten Studien gezeigt, dass KLRT die Inzidenz nosokomialer Pneumonien zu reduzieren vermag, ohne dass ein Vorteil für die Intensivbehandlungsdauer oder die Überlebensrate gewonnen wurde [4]. Diejenigen, die die KLRT als Lagerungsmaßnahme bevorzugen (ca. 14%), geben als Hauptargument eine geringere Komplikationsrate im Vergleich zur Bauchlage an. Allerdings ist die Anwendung von KLRT mit Kosten (Miete oder Kauf eines Bettsystems) verknüpft, sodass die Befürworter der Bauchlage die geringeren Kosten ins Feld führen, insbesondere wenn für die Bauchlage das „konventionelle“ Krankenhausbett und nicht ein spezielles Antidekubitussystem benutzt wird. Ob die konsequente Benutzung von Letzterem eine Reduktion von Druckstellen oder Ödemen bewirken würde, ist bisher nicht untersucht. Es kann daher zurzeit keine Empfehlung für den Einsatz spezieller Lagerungshilfen abgegeben werden. Derzeit befindet sich eine S2-Leitlinie zur Lagerungstherapie in der Intensivmedizin mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in Vorbereitung, von der klare Indikationsstellungen und Empfehlungen zur Durchführung von Lagerungsmaßnahmen zu erwarten sein sollten.

Fazit für die Praxis

Die 135°-Lagerung wird als häufigste Lagerungsmaßnahme auf deutschen Intensivstationen zur Steigerung des Gasaustausches bei Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz eingesetzt. Die KLRT kommt vergleichsweise selten zum Einsatz. Die wichtigste Indikation für die Lagerungstherapie ist die Verbesserung der Oxygenierung; als Parameter zur Entscheidungsfindung gelten die Blutgaswerte. Prophylaktische Aspekte (Pneumonieprophylaxe, Verhinderung beatmungsassoziierter Lungenschäden) spielen im Indikationsspektrum eher eine untergeordnete Rolle. Lagerungstherapie ist mit einer hohen Komplikationsquote und erheblichen Anpassungen der übrigen Intensivtherapie verknüpft. In diesem Zusammenhang ist zu vermuten, dass die Formulierung klarer Leitlinien und praktischer Algorithmen zu mehr Routine, sicherer Anwendung und somit zur Reduktion von Komplikationen führt.